Ich bin ein Lied. Ich bin ein Ding, das man weder sehen noch anfassen kann. Man kann zwar meinen Text vor sich haben oder meine Noten, aber ich bin eigentlich nur dann so richtig ich selbst, wenn ich gesungen werde. Ich erfülle dann die Luft, je nach Stimme klinge ich anders, und wenn es mehrere sind, dann mischen sie sich sogar. Das ist so, wenn Valentina, Soja und Svetlana mich singen.
Ich mag es auch sehr, wenn noch Instrumente dabei sind, die ja wieder ganz eigene Stimmen haben. Wie die Gitarre, die von Mikhail gespielt wird.
Doch wir Lieder klingen nicht nur, wir sagen auch immer noch was. Und darum können wir immer auch ein deutliches Thema haben und von irgendeiner Sache handeln.
Ich handle ja von einer Stadt, von unserer Stadt hier, von Siegen – und nicht nur das. Ich will meinen, dass ich ein auffallend freundliches Lied bin, ein bejahendes Lied. Ich bejahe diese Stadt. Und das mache ich ganz im Sinne Svetlanas, die mich geschrieben hat. Sie ist halb Russin und halb Ukrainerin und ist der Liebe wegen von Russland nach Deutschland gezogen, ins Siegerland. Und immer betont sie, wie sie hier damals „mit offenen Armen empfangen“ wurde. Und das ist es eben, genau das hallt jetzt in mir nach. Wo auch immer ich wieder erklinge, ist das ein neues Echo dieses Gefühls – „mit offenen Armen empfangen“ zu werden.
Wir sind zwei Gemälde aus dem späten 19. Jahrhundert. Jakob Scheiner hat uns gemalt und man nennt uns „Siegen: Unteres Schloss mit Mühlenweiher“ und „Scheiner Blick“. Auch wir beide, so könnte man sagen, handeln von Siegen. Und auch wir, da sind wir uns einig, sind Siegen durchaus zugetan. Ganz so wie du.
Als wir dich angehört haben, kam uns auch einiges sehr bekannt vor. Die Sieg zum Beispiel oder die Hügel, die stellen wir selbst auch dar. Was uns aber ganz besonders zusagt, das ist die Zeile mit den Sonnenblumen. Du vergleichst da das Untere Schloss mit Sonnenblumen – der Farbe wegen. Aber damit drückst du ja auch noch was anderes aus. Du hättest es ja auch mit Senf vergleichen können oder mit Bananen. Aber du sagst: Sonnenblumen. Und damit stellst du das Untere Schloss in die Sonne, und du lässt es vielleicht auch wachsen und blühen, bildhaft natürlich nur...
Jedenfalls liegt das doch vor allem daran, wie deine Texterin auf Siegen blickt. Wie ihre Perspektive ist, so ganz persönlich. Und das kennen wir natürlich gut, auch wir zeigen nicht einfach die Stadt, wir zeigen Blicke auf sie. Weil auch unser Maler eine Perspektive hatte. Und vielleicht geht das auch gar nicht anders. Jeder Mensch hat wohl seine Perspektive – und Dinge wie wir, ob sie nun Lieder sind oder Bilder, zeugen davon.
Wie ist Ihre Perspektive auf Siegen? Was macht die Stadt für Sie besonders aus? Welche Facetten würden Sie hervorheben?