Ich bin eine Rettungsweste. Eigentlich gebe ich Menschen ja nur Auftrieb im Wasser – aber genau so kann ich sie, je nach Situation, auch „retten“.
Es gibt von meiner Sorte verschiedene Größen – meine Größe ist für Kleinkinder geeignet. Nur einmal aber wurde ich auch wirklich von einem Kleinkind getragen, für nicht mehr als eine halbe Stunde – für mich aber war das, das wird man sicher verstehen, die wichtigste aller halben Stunden.
Es ging in ein ziemlich kleines Boot, das immer voller wurde, viel zu voll, und dann einmal quer über den Fluss „Mariza“, „Meriç“, so sagt man auf der türkischen Seite, hinüber auf die griechische Seite, da heißt er dann „Evros“ – wie er aber auch genannt wird, es ist ein gefährlicher Fluss. Viele sind darin schon ertrunken.
Unsere Flucht endete aber gut und das Kind und seine Mutter fanden bald auch den Vater wieder. Ich dachte schon, ich würde nun bald weggegeben – aber ich bin noch heute bei ihnen. Ich glaube, weil ich sie an die Sache erinnere. An die Ängste, die sie hatten, aber auch an das Glück, die Flucht geschafft zu haben und nun „vor der Tür eines neuen und hoffnungsvollen Lebens“ zu stehen. So hat es meine Besitzerin gesagt, als sie mich an das Museum gegeben hat.
Ich bin ein Ölgemälde von Andreas Achenbach und zeige seit 1894 diese gefährliche Situation auf hoher See. Und ich zeige sie, ohne dabei selbst gefährlich zu sein. Ich kann das, weil ich ein Bild bin, ein Kunstwerk, das viele vielleicht spannend oder sogar schön finden – mit der ganzen Bewegung, den Wellen, der großen Kraft, die man da sieht...
Oft habe ich auch über die unbekannten Fischer nachgedacht, in dem sturmgepeitschten Boot. Die denken gerade sicher nicht an Kunst. Sie sind den Elementen ausgeliefert, sie erleben da etwas Gefährliches. Es geht um nichts anderes als um ihr Leben.
Jetzt aber, liebe Rettungsweste, mit deiner Geschichte im Hinterkopf, da wird mir nochmal neu bewusst, dass die Fischer, die ich da zeige, nur gemalte Figuren sind und keine Menschen. Und ich frage mich: Wie wirke ich denn auf wirkliche Menschen, auf lebende Menschen, die solche Gefahren tatsächlich überstanden haben? Schmerzlich? Oder erinnere ich sie vielleicht an das Glück, das sie hatten?
Was würden Sie sagen, können Sie sich eine Vorstellung von solcher Gefahr machen? Oder welche Erinnerung verbinden Sie mit Küsten, bewegten Gewässern und dem Meer? Wie wirke ich auf Sie, wenn Sie mich anschauen?